Freitag, 28. Mai 2010

Vive la revolution!

Weil die EU immer stärker in die Viehzucht eingreifen will, leisten Schafzüchter in ganz Europa Widerstand. Bisher ohne großen Erfolg.

VON ELISABETH FAUSTMANN. REDIGIERT VON ANNALENA TRUMMER.

Unter dem Motto "Let's liberate diversity" luden die Europäischen Saatgut-Initiativen vom 25. bis 27. März 2010 zu ihrem fünften Kongress nach Graz. Die Diskussionen aus dem Bereich der Tierzucht endeten ohne konkrete Ergebnisse.

Die Arbeitsgruppe 6 zum Thema "Tierzucht" trifft sich im Hinterhof des Volkshauses. Wer Kongressteilnehmer in Anzug und Krawatte erwartet, liegt total daneben. Zwischen bunten Lichterketten, Bäumen und Holzbänken versammeln sich 22 Interessierte in einem Sesselkreis aus roten Gartenmöbeln, um sich mit Problemen der Viehzucht in Europa zu beschäftigen. Die meisten haben sich vorsorglich mit Wollpullovern, robusten Bergschuhen und Mützen gegen die vormittägliche Kälte gewappnet - bereit für eine Diskussionsrunde auf Französisch, Deutsch und Spanisch.


Diskussionsteilnehmer im Gespräch


"Bluetongue"

Die Viehzüchter nutzen die Diskussion, um erst mal ausgiebig ihr Leid zu klagen. Antoine ergreift als erster das Wort. Der Schafzüchter aus der Provence, der aussieht, als wäre er ein Überbleibsel einer Hippie-Kommune, outet sich als strikter Gegner der Impfpflicht.
Jean-Luc, Züchter aus Südfrankreich mit mehreren hundert
Lacaune-Schafen, pflichtet ihm bei. 2008 seien zwar einige seiner Schafe an der Blauzungenkrankheit gestorben, das habe aber keine großen Schäden angerichtet. Auch er weigert sich, seinen Schafbestand impfen zu lassen. Und Michael, ein junger Bergbauer aus der nördlichen Steiermark, ist sowieso grundsätzlich gegen jede Art von Vorschriften und stellt klar: "Ich stehe für jeglichen Widerstand gegen die vorherrschenden Systeme zur Verfügung - egal ob in Österreich, in Europa oder global."



Ein Grund zur Sorge

Das Thema Impfpflicht für alle Wiederkäuer gegen die Blauzungenkrankheit dominiert den Vormittag. Während in Frankreich auch heuer wieder alle Bauern zur Impfung verpflichtet werden, können österreichische und deutsche Viehzüchter selbst entscheiden, ob sie ihre Tiere impfen lassen oder nicht. Die Schweiz hat hier eine völlig andere Regelung: Wer früh genug um eine Befreiung ansucht, muss seine Tiere nicht impfen lassen. Bauern in ganz Europa sorgen sich um die Gesundheit ihrer Tiere und schließen sich in Organisationen zusammen, um Widerstand zu leisten.

Versuchsschäfchen“

Der Impfstoff, der gegen die Blauzungenkrankheit immunisieren soll, löse zum Teil starke Nebenwirkungen aus. Berichte von Fehlgeburten, Apathie und Appetitlosigkeit bis hin zu verendeten Tieren - die Liste ist lang und besonders für Züchter mit kleinen Schafbeständen furchterregend.
Weil die Zahl der Erkrankungen von Jahr zu Jahr sinkt und einige Länder nicht mehr von einer Seuche sprechen, lassen viele Bauern ihre Tiere nicht mehr impfen. Das Risiko sei einfach zu groß, der Impfstoff nicht ausreichend getestet. Niemand will sein Vieh als Versuchskaninchen hinhalten.


Statistik zur Blauzungenkrankheit


Die „Machenschaften“ der EU

Ein weiterer Teilnehmer, Jürgen, hat noch ganz andere Probleme mit der EU und ihren Vorschriften. Der in Nordost-Deutschland lebende Schäfer versteht nicht, warum er seine komplette Schafherde mit elektronischen Chips ausstatten soll. Er ist der Meinung, seine Art der Tierhaltung sei in Gefahr: Er zieht als Hirte mit seinen Schafen „nomadisierend“ durch offenes, frei zugängliches Land. Wenn die EU erst einmal alle möglichen Daten über Schafwanderung, Weidegang und Fütterung hätte, würde es auch in diesen Bereichen irgendwann Vorschriften geben, meint Jürgen. Klingt wie eine Verschwörungstheorie? Ist es vermutlich auch.

Auswege aus dem Schlamassel

Was können Viehzüchter in Europa also unternehmen, wenn sie mit den Vorschriften nicht einverstanden sind? Passiver Widerstand heißt das Zauberwort.
Die meisten französischen Bauern widersetzen sich, indem sie ihre Tiere einfach nicht impfen lassen, erzählt einer der Diskussionsteilnehmer. Bußgelder würde man damit nur selten riskieren, weil viele Landwirte ein "Abkommen" mit ihren regionalen Aufsichtsorganen getroffen hätten: Solange die Viehzüchter keinen politischen Aufstand anregen, würden sie auch von den Behörden in Ruhe gelassen werden.

Was vom Tage übrig blieb

Die Arbeitsgruppe 6 löst sich gegen Mittag auf, die Schriftführerin mahnt zur Einhaltung der vorgegebenen Zeit. Schnell wird noch eine Kontaktliste durchgereicht, auf der sich alle eintragen. In Zukunft will man sich untereinander austauschen, absprechen, die Kommunikation zwischen den einzelnen Ländern und Organisationen verbessern.
Die Pläne für die Zukunft sind vage, es bleibt bei Absichtserklärungen. Man geht mit dem Gefühl, Gleichgesinnte getroffen zu haben - und trotzdem noch ziemlich verloren dazustehen.



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