Freitag, 28. Mai 2010

Paradeisers Paradies

Saatgutinitiativen kämpfen für die bedrohte Pflanzenvielfalt. Dass man auch unpolitisch, unorganisiert und dennoch erfolgreich Saatgut schützen kann, beweisen Hobbygärtner.
VON SARA GEISLER, REDIGIERT VON BRITTA FUCHS


Ein Zeigefinger bohrt seinen Weg in eine Kirschtomate. Er wühlt herum und befreit ein Häufchen glitschiger Samen aus ihrem roten Haus. Was für die einen wie eine unappetitliche Patzerei aussieht, ist für Maria Hagmann eine Rettungsaktion. Tatkräftiges Engagement für die Rettung der Artenvielfalt, eine Tomaten-Heldentat.

Maria Hagmann gewinnt und archiviert Samen für die „Arche Noah“, eine Gesellschaft für die Erhaltung und Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt. Sie tut das nicht weil sie so gerne in Tomaten rumbohrt, sondern aus der Überzeugung, ihren Teil für die Fauna und alle Genussmenschen zu tun. Warum sie die Samen nicht einfach in der Tomate lassen will und sich mit der Gemüseauswahl beim Interspar zufrieden geben kann, hat einen Grund.

Das neue Saatgutrecht
Im Laufe dieses Jahres will die EU ein europaweit einheitliches Saatugtrecht veraschieden. Unter dem Namen „Better Regulation“ soll Bürokratie abgebaut werden. Saatgutkonzerne könnten die Änderungen des Rechts jedoch nutzen, um ihre Macht auszuweiten und Saatgut privatrechtlich (Patentrechte) und technisch (Hybridtechnik) weiter zu monopolisieren.


Die Angst der Bauern und Gärtner
Für die Landwirtschaft hätte diese Entwicklung horrende Folgen: Der nichtkommerzielle Zugang zu Saatgut, der Tausch und die Verwendung von eigener Saat wären gefährdet. Um Obst- und Gemüsesorten vor ihrem Aussterben zu schützen (75% der Vielfalt sind laut FAO bereits verloren gegangen), müssen wir „essen, was wir retten wollen“, so heißt es auf dem 5. Treffen der europäischen Saatgutinitiativen in Graz. Unter dem Motto „Let’s liberate diversity!“ versucht die Bewegung für das Recht, Saatgut zu säen, zu tauschen und zu verkaufen, einzutreten.

Aus eins mach zwei. Und drei und vier und fünf...
Manche wollen sich aber nicht auf der Saatgutkampagne ausruhen, sondern die eigenen Hände schmutzig machen. Wie man als Einzelperson helfen kann, nämlich in dem man selbst Saatgut vermehrt, zeigt Maria Hagmann in fünf Schritten:
  1. Samen aus der Frucht entfernen.
  2. Samen in einen mit Wasser befüllten Behälter geben (Marmeladeglas) und schütteln.
  3. Ein bis zwei Tage warten.
  4. Die Gelschicht rund um den Samen löst sich, die Fruchtanteile und „blinde“ Samen tauchen auf und werden abgesiebt.
  5. 5. Die „guten“ Samen durch ein Sieb auffangen, in einem beschrifteten Kaffeefilter zum Trocknen (1-2 Tage) aufhängen. Fertig!

Es wäre so leicht
Alte Sorten zu erhalten scheint einfacher zu sein als eine Steuererklärung. Zumindest, wenn Artenvielfalt für jeden ein Anliegen wäre. Das Jahr 2010 wurde zum internationalen Jahr der Biodiversität erklärt. Einerseits um die Aufmerksamkeit auf Problematiken wie das einheitliche Saatgutrecht zu lenken, andererseits um zu erreichen, dass Menschen beim Wort Biodiversität nicht länger nichtwissend die Stirn runzeln. Initiatoren erhoffen sich, dass mehr Menschen Bescheid wissen: über die Wichtigkeit dieses Wortes und den zahlreichen Initiativen, Aktivitäten, und Kampagnen, die dahinter stehen. Dann hätte Maria Hagmann vielleicht jemanden, mit dem sie über das einfältige Gemüseangbot beim Interspar diskutieren könnte, während sie genussvoll mit dem Zeigefinger in eine Kirschtomate bohrt und ein Häufchen glitschiger Samen aus ihrem roten Haus befreit.


ZUSÄTZLICHE INFO:

Percy Schmeiser
Der kanadische Farmer Percy Schmeiser, seit 40 Jahren auf Zucht und Anbau von Raps spezialisiert, wurde vom Saatgutkonzern Monsanto wegen Patentverletzung verklagt. Gentechnisch veränderte Samen von Monsanto waren, vom Winde verweht, auf Schmeisers Feldern gelandet. Schmeiser lies die Klage nicht auf sich sitzen und ging vor Gericht. Nach 10 Jahren Kampf gegen Monsanto gewinnt Percy Schmeiser nicht nur den Prozess, sondern gemeinsam mit seiner Ehefrau auch den Alternativen Nobelpreis.
Der Film David gegen Monsanto erzählt „David“ Schmeisers Geschichte

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen